Personalabteilungen erwachen aus dem Dornröschenschlaf
Trockene Personalarbeit oder lebendige Unternehmensentwicklung?
Das Verständnis von Personalarbeit und die darum schwirrenden Begriffe, angefangen bei Digital Enabler:in, Feelgoodmanager:in, Facilitator:in, Change-Agent:in, Coach:in über Trends wie Upskilling, uvm. könnten schillernder nicht sein.
Bei so viel Fancyfaktor gehen viele Ohren schon auf Durchzug. Dadurch bleibt die Frage nach dem: Brauche ich das in meinem Unternehmen?, leider ungestellt. Ein alter Glaubenssatz hat hierbei häufig noch festen Bestand: Personalarbeit bringt nichts ein und kostet nur Geld. Seit weit über 20 Jahren gibt es „neue“ Perspektiven auf die Personalarbeit. Die immerwährende Frage an den Hochschulen dabei ist: Wie bekommen wir endlich neues Wissen in die Praxis?
Essenzielle Verwaltungsvorfahren bleiben
Das URverständnis von Personalarbeit oder neudeutsch Payroll bezieht sich dabei meist "nur" auf die Verwaltung der Mitarbeitenden rund um die finanziellen Belange. Dass bedeutet, die Aufgaben der Praxis drehen sich meist um: die Lohnabrechnung, Reisekostenabrechnungen, Pflege und Überwachung von Krank- und Urlaubstagen, Beachtung des Arbeitsschutzes, Vertragsmanagement, betriebliche Altersvorsorge, Zeugnisse und das Verwalten der Personalakte inklusive der Verwaltung der Bewerbungsprozesse. Alles in allem eine Arbeit, die nah am Papier gebaut ist, sehr essenziell ist und ziemlich festen Vorgaben durch gesetzliche Richtlinien und Leitungspositionen folgt.
In KMUs ist die Arbeit in der Regel nah an den geschäftsführenden Personen angedockt. Egal wie groß das Unternehmen ist, sobald Angestellte mit an Bord sind, werden diese Arbeiten notwendig und sind nicht wegzudenken. Mitunter ist das ein Grund, warum sich dieses Vorurteil >Personalarbeit kostet nur< hartnäckig hält. Es wird auch in den nächsten Jahren nicht weniger notwendig sein und bestand haben. Daher sollten wir in diesem Bereich Veränderung nicht denken als Austausch von Altem zu Neuem, sondern als wachsende Personalaufgaben, die sich durch Zeit und Außenwelt entwickelt haben.
Die essenziellen Personalaufgaben werden grundsätzlich bleiben. Wir können versuchen, sie mit digitaler Unterstützung bequemer und komfortabler zu gestalten.
Wer muss das mehr in der Personalarbeit leisten?
Beispiel. Das Personalbedarfsmanagement passiert häufig ganz pragmatisch auf Zuruf und wenn der Bedarf bereits heftig an die Tür klopft. Denn jede Anstellung muss auch finanziell gestemmt werden. Habe ich verschiedene Führungskräfte, habe ich höchst wahrscheinlich auch verschiedene Auffassungen, wie eng und kurzfristig Themen wie Planung, Entwicklung, Potenzialanalysen und Budget gehandhabt werden. Die Personalentwicklung ist ebenfalls sehr anlassbezogen. Oftmals sind Führungskräfte durch Ihre hohe Fachkompetenz aufgestiegen und da es auch „damals“ keine Personalentwicklung gab, sind die Führungskompetenzen im besten Fall Autodidakt und erfahrungsabhängig positiv geprägt, um zu wissen, was Personalentwicklung in den vielfältigen Facetten bedeuten könnte.
Bei der Planbarkeit von Veränderungsprozessen, dem strategischen Ausrichten der Personalbeschaffung und der gezielten Zukunftsbetrachtung von Potenzialen, stellt sich die Frage, wo sind diese Aufgaben angesiedelt, wenn sie überhaupt bereits Berücksichtigung gefunden haben? Sollen diese Aufgaben von der Payroll mit abgedeckt werden? Welche Kapazitäten braucht es für eine gute Personalentwicklung? Ist es nicht auch gut in den Fachabteilungen platziert? Haben Führungskräfte neben Führung und Tagesgeschäft noch Kapazitäten? Gibt es eine bündelnde Stelle, die beachten, dass kein Abteilungsneid aufkommt und die übergeordnete Strategie-Passung beachtet wird?
Habe ich Menschen im Unternehmen, die alle Facetten der PE kennen, um überhaupt zu wissen und wählen, was zum Unternehmen passt? Wer sorgt für eine abteilungsübergeordnete Reifung, damit z. B. Silodenken das Blickfeld nicht blockiert? Eine gute Personalentwicklung lebt davon, Mitarbeitende für Veränderung und Entwicklung begeistern zu können. Aus einem „ich muss auf eine Schulung“, sollte ein „ich möchte mich in Kompetenz XY verbessern, was könnte ich machen?“ Dialog werden. Diese positive Stimmung verbreitet sich oft nicht, wenn man unter Strom und Stress steht.
Klar, konkrete Anforderungen können gute Entwicklungstreiber sein, aber diese Sichtweise ist ebenfalls perspektivabhängig. Darum: Spielt verschiedene Szenarien durch. Was bedeutet es fürs Unternehmen in dieser Arbeitnehmer:innen-orientierten und schnelllebigen Zeit? Kommt vom Reagieren ins Agieren! Habt ihr lieber ein Team, welches nur lernt, wenn es muss oder ist in eurer Kultur ein neugieriges Team willkommen, welches selbst dafür sorgt, neues Wissen ins Unternehmen zu holen? (Siehe dazu mein Beitrag zur Lernkultur.)
Seine eigenen Erfahrungen bedauern heißt, seine eigene Entwicklung aufhalten.
HR - die eierlegende Wollmilchsau
Was im Großkonzern geht, geht lange nicht auch in Klein- und Mittelständischen Unternehmen oder NGOs und andersrum. Die Bedürfnisse von White und Blue Collar Mitarbeitenden können unterschiedlich sein. Zentralen und Filialen haben anderen Entwicklungsbedarf. Die Kommunikation muss angepasst werden und dennoch für alle Beteiligten klar sein – ein herausfordernder Spagat.
Je nach Branche ist die HR mit einer weniger technikaffinen Besetzung von Anforderungen der Branche und der Fachabteilungen überfordert, der Ball wird zurück in die Abteilungen gespielt. Wichtiger Weiterbildungsbedarf wird verpasst anzustoßen, da sich nach dem Weiterbildungsmarkt orientiert wird statt nach den Personen in meinem Unternehmen. Häufig kauft man Trends statt Passendem.
Die Digitalisierung sorgt dafür, dass der Bildungsbedarf steigt, ebenso die damit verbundenen Softskills. Bei Changeprozessen werden längst da gewesene Probleme sichtbar. Mach ich weiter wie bisher? Oder packen wir es endlich an, damit es gut ins neue Arbeiten starten kann? Das kann ein Unternehmen durchrütteln und es sind starke Veränderungsbegleiter:innen gefragt.
Das Personalmarketing ist angehalten, eine tolle Arbeitgebermarke zu formen und die Talentansprachen im War of Talents immer attraktiver zu gestalten. Die Reaktionszeiten müssen kurz gehalten werden, damit wir wichtige Talente nicht im Prozess verlieren und gleichzeitig darf die Qualität bei der Auswahl nicht leiden.
Die Führungskräfte sollen eine Leadership-Perspektive ausbilden und für die neuen Tools der Arbeitswelt 4.0 gut beraten und fit gemacht werden und dennoch darf das Tagesgeschäft nicht leiden. 2014/2015 hat Hays[1] in einer Studie als größte Herausforderung für Führungskräfte mit 72 Prozent das Managen von Veränderungen angegeben. An zweiter Stelle kam der Umgang mit steigender Komplexität. Dieses Wissen sollte bis in die Fachabteilungen gespiegelt werden. Wir sehen, es gibt viel zu tun und viele Berührungspunkte, die eine moderne HR-Abteilung auf dem Schirm haben muss.
Mindestanforderung: HR Business Partner Modell
Dave Ulrichs hat vor über 20 Jahren das HR Business Partner Modell[2] entwickelt, um die Rollen der HR-Abteilungen zu clustern. Viele Unternehmen haben damit bereits begonnen, diese Perspektive immer mehr zu integrieren, doch der Weg zwischen entwickelten Modellen und er Weg in die Praxis ist nicht überall gleich schnell.
Dieses Modell gibt einen groben Rahmen für die verschiedenen Bereiche und Mindestanforderungen an die Personalarbeit, unabhängig ob diese auch alle in der HR Abteilung zu stemmen sind. Der Grundsatz für Dave Ulrich[4], dass HR nicht der HR wegen existent ist, sondern vor allem den Dienst für den Geschäftserfolg betrachten müssen, bleibt Außerfrage. Die Studienlage hat dieses Feld erweitert. Wir wissen nun mehr, welchen Einfluss Unternehmenskultur, Stress oder falsche Feedbackkultur auf Arbeitnehmer:innen haben und damit auch wie hoch die Kosten sind bei zu viel Fluktuation, Personalneubesetzung, abwanderndes Wissen, Fachkräftemangel.
Zu diesen Erkenntnissen ist auch Dave Ulrich in seinen neun Forschungen gekommen und hat den Erfolg der Personalarbeit differenzierter beschrieben. In der Rolle als Paradox-Navigator:in soll der Blick nach beiden Seiten geöffnet werden. Richten wir alles nach den Kunden aus, produzieren wir dadurch Probleme auf der Mitarbeiterseite. Prozesse müssen Top-Down und Buttom-up gedacht werden, damit nicht nur Strategiepassung da ist, sondern vor allem Mitarbeitende mitmachen möchten. Dieser Personalarbeitsfokus lässt sich auch gut in kleinen Unternehmen etablieren.
Plädoyer für eine ganzheitliche Betrachtung aller Personalarbeitsfacetten
Personalmanagement heißt also grundsätzlich, die richtige Person an der richtigen Stelle zum richtigen Entgelt mit den richtigen Fähigkeiten und Fertigkeiten zur richtigen Zeit bereitzustellen[5]. Es heißt aber nicht, dass alles nur in der HR-Abteilung strategisch entworfen, geplant und dort operativ umgesetzte werden muss. Idealerweise haben sich die Entscheidungsträger ein differenziertes Bild von Optionen, Möglichkeiten und Risiken gemacht, um dann differenziert zu entscheiden, was wo umgesetzt wird und auch klar genannt, was nicht im Personal-Zyklus umgesetzt bzw. praktiziert wird und was nicht. Bei welchen Aufgaben die HR-Abteilung nur Sparringpartner der Fachabteilungen und Führungskräfte ist und in welchen Projekten eine Federführung unabdingbar ist.
Für ein Update der Personalarbeit lohnt es sich auch externe Hilfe als Prozessbegleiter:in zu holen, nicht nur für neuen Input sondern auch um etwaiger Betriebsblindheit etwas entgegen zu wirken.
Wenn wir als einziges Werkzeug einen Hammer besitzen, dann besteht wahrscheinlich die Versuchung, alles wie einen Nagel zu behandeln.
First-Aid-Question-Pool
Reflektiere in einem diversen Team aus Freiwilligen folgende Fragen, um eine erste Orientierung zur Haltung im Unternehmen für das Thema Personalarbeit und zeitgemäße HR-Aufgaben zu erhalten.
- Wie ist die HR-Abteilung strukturiert und welche Qualifikationen haben eure Mitarbeiter:innen in selbiger für diese Aufgaben (vergleiche auch HR Business Partner Modell)?
- Wie lange bestehen die Aufgabengebiete bereits, wann gab es die letzten Updates und welche Themen werden noch nicht bearbeitet?
- Welcher HR Strategie verfolgt ihr? Wie integriert und passt diese Strategien zu den Geschäftsfeldern?
- Hat unser Unternehmen talentierte Mitarbeiter? Wie halten wir die Talente?
- Wie wird unser Unternehmen von außen gesehen und bewertet (Arbeitgebermarke)?
- Haben wir kompetente Führungskräfte? Was wird getan, dass diese weiter kompetent bleiben? Wie wird dies bewertet?
- Tragen wir dazu bei, das Unternehmen schneller und flexibler zu machen? Welchen Freiraum und Gestaltungsraum haben unsere Mitarbeiter?
- Wie verbessern wir unsere Innovationskraft und bringen neue Ideen und Technologien ins Unternehmen?
- Stärken wir die Zusammenarbeit, Kollaboration und die Wissensarbeit?
- Welche Kulturentwicklungen gestaltet und initiiert die HR (z. B. übergeordnetes Führungsverständnis)?
- Welche letzten Studien und Fachbeiträge rund ums Thema HR wurden geprüft, ob sie sich für das Unternehmen / Organisation lohnen zu übernehmen?
- Gibt es eine bündelnde Stelle, die beachtet, dass kein Abteilungsneid aufkommt oder/und abteilungsübergreifend die Passung zur Gesamtstrategie beachtet?
- Inwieweit unterstützt die HR-Abteilung die Digitalisierungsprojekte, um die Kompetenzen für eine zukunftsstarke Belegschaft zu sichern?
- Haben Führungskräfte neben Führung und Tagesgeschäft noch Kapazitäten, das Potenzial ihrer Mitarbeiter:innen zu formen und zu fördern?
- Sind meine Führungskräfte dementsprechend selbst entwickelt, um diese Aufgaben zu übernehmen? Welche konstanten Formate biete ich im Unternehmen an, um aktuelle Herausforderungen zu meistern (z. B. kollegiale Beratungsformate oder Leadership Coaching)?
Du möchtest mehr zu dem Thema wissen oder möchtest das Fragenstellen vertrauensvoll dem externen Blick überlassen? Ihr sucht ein geschultes Ohr für die Zwischentöne? Lasst uns ins Gespräch kommen, wie wir die Struktur und Zukunft eurer Personalarbeit optimal gestalten.
Quellenangabe
[1] | https://www.hays.de/personaldienstleistung-aktuell/studie/hr-report-2014-2015-schwerpunkt-fuehrung abgerufen am 09.05.2022. |
[2] | Ulrich, D. (1996). Human Resource Champions (1st ed.). Harvard Business Review Press. |
[3] | Eigene Grafik HR Business Partner Modell nach Dave Ulrich ©2022 Nicole Clemens |
[4] | https://www.manager-magazin.de/harvard/fuehrung/dave-ulrich-entwickelt-hr-business-partner-model-weiter-a-00000000-0002-0001-0000-000149763185 abgerufen am 09.05.2022. |
[5] | Stock-Homburg, R., & Groß, M. (2019). Personalmanagement: Theorien – Konzepte – Instrumente (German Edition) (4th ed.). Springer Gabler. |